„Es wird immer jemanden geben, besser oder geringer als du“ – dieses Zitat stand mal an einer Kirchentür und kommt mir immer wieder in den Sinn. Es bedeutet, dass die meisten von uns nur Mittelmaß sind. Und wir darauf ruhig stolz sein dürfen.
Manchmal bin ich ja so ein kleiner Wort-Zerpflücker. Ich finde es unglaublich interessant, welche Bedeutung Worte haben und wie sich diese Bedeutung wandelt. Das heutige Beispiel: „Mittelmaß“ bzw. „mittelmäßig“. Was denkst du, wenn du dieses Wörter hörst? Wie verwendest du sie? Klingt „Mittelmaß“ für dich positiv oder negativ?
Ich rate jetzt einfach mal: Negativ.
Was für ein gewaltiges Missverständnis!
Heute möchte ich eine Lanze brechen für das Mittelmaß. Und dir erklären, warum du nicht immer der oder die Beste sein musst.
Mittelmaß-Regel Nr. 1: Gib nicht vor besser zu sein, als du bist.
Wir bezeichnen etwas als mittelmäßig, wenn wir nicht total begeistert sind, aber auch nicht total abgestoßen. Nicht Fisch, nicht Fleisch eben. Etwas, das zufriedenstellt, aber uns auch nicht vom Hocker haut. „Das Essen war mittelmäßig“ bedeutet: „Ich bin zwar satt geworden, aber es war auch keine Offenbarung.“ Mittelmaß ist eigentlich nur dann schädlich, wenn man falsche Erwartungen weckt. In einem Schnellrestaurant erwarte ich keine orgiastischen Gaumenfreuden, in einem Gourmet-Restaurant schon. Bekomme ich im Schnellrestaurant ein solides Schnitzel, bin ich zufrieden. Bekomme ich dasselbe im Gourmet-Restaurant (für den doppelten Preis, versteht sich), bin ich maßlos enttäuscht.
Mittelmaß-Regel Nr. 2: Sieh dich mit den Augen des Gegenübers.
Mittelmaß bei anderen können wir leichter ertragen als bei uns selber. Wenn mich ein Brite mit brüchigem Deutsch und starkem Akzent anspricht, ich ihn aber trotzdem verstehe, stört mich das nicht im Geringsten. Bin ich jedoch dazu gezwungen, Englisch zu sprechen, dann möchte ich, dass das bitteschön auch perfekt ist und ringe mir ein feuchtes „th“ ab. Das kann so weit führen, dass ich total verkrampfe und mich hinterher in Grund und Boden schäme. Dem Briten/Amerikaner/Australier/Neuseeländer…, mit dem ich rede, fällt das wahrscheinlich gar nicht auf.
Mittelmaß-Regel Nr. 3: Lass dich von überhöhten Vorbildern niemals von etwas abbringen, das du gerne tun würdest.
Wir stellen gerne hohe Ansprüche an uns selber. Woher kommt die Angst vor dem Mittelmaß? Ich habe in den letzten Jahren viele, viele, viele Business-Ratgeber gelesen. In den meisten davon kam früher oder später die These auf, dass man sich ganz spitz positionieren, eine Nische finden müsse, um aus dem Sumpf der unambitionierten Mitbewerber herauszuragen. Also strampelt man und tritt Wasser und versucht den Kopf oben zu halten und kommt dabei ganz außer Atem. Dabei liegt man nicht in einem Sumpf, sondern in einem Schlammbad in einem sauteuren Spa. Gut für die Haut und sehr entspannend. (Ich finde, sprachliche Bilder müssen auch immer zu Ende gedacht werden, auch wenn das manchmal überhaupt keinen Sinn macht.) Man hört also von allen Seiten: Werde ein Experte auf deinem Gebiet! Was ist aber, wenn das eigene Angebot gar nicht so ungewöhnlich ist. Wenn man das Rad nicht neu erfunden hat, sondern einfach nur hübsche Felgen entwirft? Und damit Hunderte Konkurrenten hat? Einer von denen ist ganz bestimmt besser als ich! Ich werde also niemals der Experte werden, der ich sein müsste! Ich bin so minderwertig, so ein Looser, ich werde es nie zu etwas bringen! Mein Business wird ein totaler Reinfall! AAAAAAAH! Haaaalt, Stop! Solche Sprüche wie die mit dem Experten können ganz schnell entmutigen, so dass man gar nicht erst anfängt. Und deshalb halte ich sie für sehr gefährlich. Der Berg ist einfach zu hoch um ihn zu besteigen, deshalb lasse ich es gleich ganz sein? Nein, auf keinen Fall!
Mittelmaß-Regel Nr. 4: Vergleiche dich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten.
Vergleichen ist schlecht. Zumindest, wenn man nach oben schaut. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre ich gerne eine erfolgreiche Schriftstellerin. Ich würde gerne so verwobene Epen erschaffen können wie Ken Follett, so emotionale Momente beschreiben wie Jojo Moyes, mir so lustige Situationen ausdenken wie Kerstin Gier und so tolle Sätze fabrizieren können wie Florian Illies. Sogar wenn ich ganz viel übe und ab jetzt mein gesamtes waches Leben diesem Ziel widme, wird mir das nicht gelingen. Die Wahrscheinlichkeit ist einfach zu gering. Denn diesen erfolgreichen Autoren stehen Millionen gegenüber, die es nicht so weit gebracht haben. Und da sagt der rationale Teil meines Gehirns natürlich: Statistisch gesehen wirst du es nicht schaffen. Logik lügt nicht. Was mich natürlich nicht davon abbringt, es zu versuchen (siehe Regel Nr. 3). Meine Fähigkeiten als Schriftstellerin würde ich ganz bewusst im Mittelmaß ansiedeln. Worauf ich ziemlich stolz bin. Denn: Das bedeutet, dass ich noch immer besser bin als andere. Das soll jetzt nicht fies oder abwertend klingen. Ist einfach so. Ich kann zum Beispiel auch Socken stricken. Mir fallen auf Anhieb 10 Leute ein, die das nicht können. Und 10 Leute, die es besser können als ich (allen voran meine Oma). So gesehen kann ich stolz darauf sein, dass ich Socken stricken kann. Wenn du also manchmal denkst: „Das werde ich nie so gut können wie XY!“, dann denk daran, dass du es noch immer besser kannst als viele andere Menschen.
Mittelmaß-Regel Nr. 5: Gut genug ist gut genug.
In meiner Umgebung gibt es zwei Star-Coiffeure. In München ist die Dichte in dieser Branche wahrscheinlich höher. Beide sind in etwa 25 Minuten Fahrzeit zu erreichen, was – wie Dorfkinder wissen – auf dem Land ein Katzensprung ist. Ich könnte mir die Haare also von einem richtigen Experten auf seinem Gebiet schneiden lassen. Warum tue ich es nicht? Weil ich das nicht brauche.Ich bin ja nicht Heidi Klum oder Angela Merkel. Meine Frisörin ist für mich gut genug. Wenn ich wollte könnte ich mir einen Laptop kaufen, bei dem sogar mein ITler-Freund das Sabbern anfängt, aber wozu? Mein mittelmäßiges Notebook reicht für meine Verhältnisse vollkommen aus. Das Beste ist manchmal einfach zu viel. Es gibt viel mehr Bedarf an Mittelmäßigem. So ist das auch im zwischenmenschlichen Bereich. Ich fühle mich wohler mit Menschen, die einfach nur normal sind und nicht irgendwie außergewöhnlich. Sowas schüchtert mich ein. Ich möchte weder ein Supermodel noch eine Pulitzerpreisträgerin noch Bundestagsabgeordnete als beste Freundin. Sondern einen normalen Menschen, der genauso mittelmäßig ist wie ich.
Ich weiß, dass dies ein ziemlich mittelmäßiger Text ist. Es gibt Tausende Blogger, die das besser können als ich. Aber wenn er dir gefallen hat und du zukünftig ein wenig stolz auf deine Mittelmäßigkeit bist, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Und nun: Worin bist du nur Mittelmaß, aber stolz auf dich?
Der Beitrag Ein Hoch auf das Mittelmaß! erschien zuerst auf MalMini.